Muscheln an Land sind der Müll des Meeres. Für Meeresgetier einst die Verpackung ihres Mittagsmahls. Bunte Kalkgestalten mit wenig Kopf und viel Glibber drin. So wenig Kopf, dass einige Menschen den ihren wiederum so sehr abschalten können, und die Lebewesen als Austern bei lebendigem Leibe verspeisen. Dennoch, wenn bereits der Sperrmüll des Meeres unsere Augen zum Glänzen bringt, wie schön muss dann erst der Rest dieser unserer Parallelwelt sein?
Und so stürzt man sich von Ostsee bis Fernsee und von Strand zu Strand stets aufs Neue auf die Gestrandeten. Verfällt geradezu in einen Wahnsinn, sobald man sandigen Boden betritt. Die Suche nach der Größten, der Ungewöhnlichsten, der Buntesten, der Perlmuttesten beginnt. Man kann sich dem Sog des Suchens nicht entziehen. Trotz reizendem Panoramas der Schiffe in der Ferne, dem sanft wehenden Dünengras am Rande oder dem Möwenkunstflug zehn Etagen weiter oben ¬- immer wieder fallen die Blicke zurück auf den Boden. Wie viele vorbeischwimmende Wale man wohl schon verpasst hat, während man sich für die dutzendste durchschnittliche Miesmuschel gebückt hat, sie in der Hosentasche verstaute, um sie am Ende doch zurück am Strand zurückzulassen?
An der Westküste Portugals hat das Muschelsammlerphänomen eine neue, schwerwiegende Ausprägung angenommen: Denn hier, wo Felsen sich wie Gebirge auftun und brüllende Wellen wegstecken wie eine Pflanze einen Spritzer aus der Sprühkanne, haben die Muscheln kaum eine Chance. Bevor sie nach einem jahrelangen Leben auf dem Meeresgrund das Licht der Erde entdecken und ihre letzte Ruhe auf einem sonnigen Sandbett finden könnten, zerschellen sie, werden von den felsigen Untergründen in tausend Teile gespalten und zu Kalkkorn zermahlen. Und der Sammler? Als hätte es nie auf dieser Erde eine Muschel gegeben, steht er verloren an einem weitweißen Strand und sieht: Sand. Nichts als Sand. Das stellt ihn vor eine neue Aufgabe. Da erblickt er Steine. Von den Marmor durchzogenen Felsgiganten einst abgebröckelt. Ins Meer gefallen und von diesem rund und glatt gewaschen wieder zurück an Land gespült. Quasi direkt vor die Füße des umgelernten Muschelsammlers. Der nun zwar schwerer als je zuvor zu tragen hat, um seine Reisekoffer endgültig zu zerbeulen, aber der ursprüngliche Gedanken, der alldem Bücken, Greifen, Abwischen und Aufbewahren zu Grunde liegt, bleibt erhalten: Die ewig Suche nach dem großen Schatz aus der Tiefe.