Von A wie Abwasch bis Z wie Zoff in 0,3 Sekunden
Streit kommt in den besten Familien vor – darauf verzichten kann ich trotzdem gerne. Ein Zwiegespräch mit dem Zoff.
Lieber Streit. Geh doch mal bitte dahin wo der Pfeffer wächst, kapituliere! Oder katapultiere dich direkt ins All. Lichtjahre entfernt von mir und meiner Familie. Dann können wir jetzt doch noch gemütlich Abendbrot essen und schnatternd und lachend den Tag ausklingen lassen. Wie diese Familien da in der Tütensuppen-Werbung. Aber nicht mit Dir, Du zähes anhängliches Ding. Fakt ist, die Butter ist mal wieder alle und keiner hat daran gedacht. Jetzt haben die Läden aber zu und alle Hunger und die Stimmung ist: im Eimer. Großartig. Danke Streit. Ach lass mich doch in Ruhe!
So oder so ähnliche Zwiegespräche mit dem Zoff geisterten in meinem Kopf herum, wenn ich live dabei war als das berühmte Fass mal wieder übergelaufen ist. Ein ganz normaler Abend im Kreise meiner Familie und ungefähr 20 Jahre her, aber aktueller denn je. Denn damals war ich überzeugt, meine Eltern übertreiben völlig und wenn ich mal erwachsen bin – dann werde ich NIEMALS wegen einem fehlenden Stück Butter einen Streit vom Zaun brechen. Denn: Wie unfassbar peinlich ist das denn? Mittlerweile bin ich selber Mutter. Habe meine eigene kleine Familie. Und weiß, so ein Stück Butter ist meist nur ein Symbol. Sie ist die Summe aus angesammelter Unzufriedenheit, stressigem Alltag, Druck, Überforderung, Übermüdung und enttäuschten Erwartungen – und wenn es diese klitzekleine Hoffnung auf ein harmonisches Abendbrot war. Doch dann passiert plötzlich das, was die Hamburger Kinderband Deine Freunde in einem Lied wunderbar präzise zusammengefasst hat: „Und die Tür knallt zu, digge digge Luft, Digga!“ Während ich hier so reflektiert und klar denkend vor mich hin tippe, bin ich erstaunt, wie logisch das doch alles klingt. Theoretisch weiß ich also bescheid. Sogar das mit der Butter und dem Berg dahinter habe ich kapiert. Bleibt nur noch die Frage: Warum streiten wir dann trotzdem noch? Und: Warum rede ich überhaupt mit Dir, Du Streit? Streit, was machst Du mit uns? Kirre machst Du uns, Du Streit. Denn Fakt ist doch: Keiner mag Dich! Und trotzdem bist Du immer wieder da. Weil wir Lust haben auf Stress, auf Schreien, auf Türe knallen, auf strafendes Schweigen, traurige und wütende Tränen? Wohl kaum. Mit wem streiten wir? Wenn man ehrlich ist, dann sind es meist ausgerechnet die, die uns am nächsten stehen, an die wir unsere verbalen Klatschen verteilen. Die Menschen, die am wichtigsten für uns sind. Die, die wir lieben. Den Mann, die Frau, das Kind, die Mutter ... Vor allem also streiten wir innerhalb der Familie. Wie widersprüchlich ist das eigentlich? Warum können wir unser Streitkräfte nicht zum Beispiel beim Zahnarzt ausfechten, den sehen wir vielleicht einmal im Jahr und zur Not könnten wir uns einen neuen suchen. Aber so einfach läuft das nicht! Außerdem frage ich mich: Warum streite ich heute eigentlich viel häufiger als noch vor einigen Jahren? Und dann fällt mir schnell ein: Weil ich nicht mehr allein in meiner Welt bin. Weil ich Teil einer Familie bin, meiner Familie. Und diese ist oft ein schwer zu bändiges Wesen: Eine Mama, ein Papa, ein Kind sind wie ein Haus mit drei Köpfen und sechs Beinen. Warum streiten wir eigentlich? Streitest Du noch, oder wäscht Du schon ab...? Denke ich an alltägliche Familien-Konflikte, fallen mir zahlreiche Anlässe ein: Hausarbeit, Aufräumen, Hausaufgaben, Pünktlichkeit, Freizeitgestaltung, Stress, Zeitmanagement, Zukunftspläne, Geld, Erziehungsfragen oder weitere wage Fragen wie „Wer macht mehr daheim?“ oder „Wer arbeitet eigentlich härter?“ Herzlich willkommen mitten im wilden Jetzt: Dreckige Geschirrberge auf der leeren Spülmaschine, hingerotzte Hausaufgaben, zerbombte Kinderzimmer (und die Bombe streut bis ins Wohnzimmer), Haushaltskassen mit einem unsichtbaren Loch im Boden, Stress mit den Lehrern, Stress mit dem Chefs – und sie alle kommen in Form von schlechter Laune auch noch mit nach Hause. Es gibt tausende und keinen Grund für Streit. Die Guten sind die handfesten. Kind kickt Vase um. Mama ist sauer. Vase wird aufgefegt. Kind schmollt, Mutter auch. Kurz darauf ist wieder gut. Die Doofen sind die nicht fassbaren, bei denen man erst mal ganz schön tief oder weit graben muss, um den Auslöser der Explosion überhaupt aufzudecken. Die, bei denen ein Wort oder eine Tat eine bereits angeknackste Leitung getroffen hat: die überspannten Nervenbahnen, die feinen Gefühlsdrähte, die dünne Haut. Dann wird es richtig anstrengend und einer Entschuldigung stehen lange, aufwühlende Friedensgespräche bevor. |
Wieso lassen wir es dann nicht einfach? Weil das echt nicht einfach ist. Weil wir wir sind und jeder von uns einen eigenen Kopf und ein eigenes Herz hat. Dort ruhen Wünsche, Ansprüche, Vorstellungen, Strukturen, Abläufe. Und genau so hätten wir das gerne! Aber: Unser Leben findet ja zum größten Teil im Kosmos unserer Familien statt. Und das bedeutet, zurückzustecken und Abstriche zu machen. Mit dem Eingehen in eine Partnerschaft, spätestens aber mit dem ersten Kind, ist es schlichtweg nicht möglich, wie ein egoistischer Riesenwaldschrat durch das Leben zu schreiten und seinen eigenen Weg zu gehen, dabei würde man nämlich vor allem eines tun – den Respekt vor seinen Lieben verlieren. Und so ist ein Familien-Alltag, über all die Liebe hinaus, vor allem ein Konstrukt aus unzähligen Kompromissen, großen wie kleinen, viel diskutierten wie allseits akzeptierten, tagtäglich neuen und ewig etablierten. Doch es gibt lange Tage und kurze Momente, da stellt sich unser Kopf über die Kompromisse und damit auch über den Rest der Familie hinweg. Weil wir keine Maschinen sind. Weil wir Fehler haben. Weil wir Bedürfnisse haben. Weil wir einbrechen, weil wir schwach sind. Oder: Weil wir gerade schlicht weg keine Lust haben, den Abwasch zu machen. Dann fühlen sich zehn Minuten Abwasch-Ignoranz an wie eine Rebellion, denn schließlich brechen wir gerade klammheimlich aus unseren Abkommen aus. Nun kommt es auf unsere Gegenüber an. Spielen sie mit und sehen darüber hinweg? Oder stolpern sie darüber? Können wir wenigstens lernen, besser zu streiten? In vielen Streits kommt irgendwann der Moment, in dem einen die Argumente ausgehen. Worte können das Wutgefühl nicht mehr verpacken oder stützen – man erreicht den Punkt der Hilflosigkeit. Ein gefährlicher Punkt, denn hier werden viele oft unfair und verletzend. Man greift nach dem letzten Strohhalm um das letzte Wort zu haben und als Sieger aus dem Gefecht zu geben, und packt plötzlich Dinge aus, die einem bereits im Moment der Aussprache leid tun. Das haben wir alle nicht gewollt und trotzdem ist es passiert. Wenigstens hier müssen wir uns selbst zügeln. Fünf Sekunden nachdenken. Innehalten. Der Mensch, der Dir gegenüber steht, den liebst Du doch. Ja, in diesem Moment können wir alle was besser machen: Nämlich einfach mal den Mund halten. Kann es sein, dass wir Dich brauchen? Wie gerne würde ich auf Dich verzichten, Du Streit. Ab sofort bis in die Ewigkeit. Aber kann es sein, dass wir Deinen Knall manchmal einfach brauchen? Dann zum Beispiel wenn alle weit verstreut in ihren eigenen Umlaufbahnen unterwegs sind, der Familienplanet zum Nebenschauplatz wird, auf dem sich Kleider-, Geschirr- und Spielzeugberge häufen und dabei persönliche Bedürfnisse verschüttet werden. Vielleicht muss dann ein Knall her, ein klärende Gespräch, um wieder gemeinsam auf eine Umlauf-Bahn zu finden. Wenn wir also mal wieder die Kurve nicht gekriegt haben und mitten rein gedonnert sind in einen hübschen Zoff, dann lasst uns doch zumindest überlegen, wie wir da alle wieder gut und wohl behalten raus kommen. Kommen wir da wieder heile raus? „Entschuldigung!“ „Es tut mir leid!“ „Das war ziemlich blöd von mir!“ Manchmal fällt es so unglaublich schwer, diese simplen Worte über die Lippen zu bringen. Ist es aber dann geschafft, nehmen uns diese Worte in Sekunden ein ordentliches Gewicht von Schultern und Herzen. Oder: Wie erleichternd kann eine feste Umarmung sein. Ein wirklich ehrlich offenes Ohr. Oder ein einträchtiges Nebeneinandersitzen und Eis essen. Gemeinsam wieder runter kommen von dieser zornigen Wolke auf der man eben noch über Hausaufgaben, Unordnung und Zukunftsängste Blitz und Donner verteilt hat. Das macht einen Streit nicht schöner, aber gibt ihm zumindest einen Sinn. Ja Streit, Du bist ein alltägliches und trotzdem unplanbares Übel, aber solange wir Dich sehen und verstehen, kannst Du uns mal gar nix! Katharina Troch (erschienen in Kinderkram, Ausgabe September/2015) Fotos (c) Katharina Troch |