Kleine Ode an den Schulweg
Ohne Eltern, Auto oder Helikopter zur Schule und zurück
kann ein Stück vom Glück sein.
Sichtlich genervt tauschte die runzelige Frau Steiner drei grüne gegen vier rote Schnüre und packte sie in die Papiertüte. Ich war keine einfache Kundin. Aber als Achtjährige hat man es auch nicht leicht im süßen Paradies.
Eigentlich war das Paradies nur ein winzig kleiner, bis zur Decke gefüllter Krämerladen in der Dorfstraße. Hier gab es neben Naschkram vor allem viel langweiliges Zeug, was Erwachsene halt so brauchen. Aber die vier Gläser mit bunten Gummibärchen auf dem Tresen waren das Epizentrum des Glücks – und eine wichtige Station meines damaligen Schulweges. Ebenso wie beispielsweise die berüchtigte Reste-Hecke. Hier landeten sämtliche Salami-Stullen meiner Grundschulzeit. Ich weiß nicht, wie oft ich meiner Mutter erklärte, dass der Pfefferrand mein Graus war. Schlaftrunken schmierte sie mir die Wurst dennoch jeden morgen wieder aufs Butterbrot. Das Gestrüpp dankte und verwandelte sich aufgrund der zig verschmähten Schulbrote meiner Schulkameraden und mir zur gut besuchten Mäuse-Mensa. Ja, der Schulweg. Eigentlich gab es ihn in zwei Routenprofilen. Zum einen in der morgendlichen Sprintdistanz: Klingelte frühs der Wecker, bedeutet dies sehr gemächliches und widerwilliges Anziehen und dann in Windeseile, weil viel zu spät dran, ab zur Schule. Klingelte jedoch mittags die Schulglocke, wurde zunächst in Weltrekordgeschwindigkeit der Ranzen gepackt, doch vor dem Schultor begann die Zeitlupe. Und über allen Wegen und Straßen stand in riesigen Lettern: T-R-Ö-D-E-L-N. |
Während wir davon trabten, tauschten wir Sticker, bewunderten neue Spielzeuge und sabbelten was das Zeug hielt. Zudem wurden wichtige Telefonverabredungen für gleich-nach-dem-Mittag-essen ausgemacht, um bei diesen ausgedehnten Telefonkonferenzen wiederum ein Treffen für den Nachmittag zu vereinbaren.
Natürlich fanden wir viele Geheimwege und Abkürzungen. Die Abkürzungen dienten jedoch nicht dem schnelleren nach Hause kommen, sondern dem rascheren Weg zum Glück (siehe oben). Da war etwa der Weg über den riesigen Bauernhof. Dieser lag genau zwischen zwei Straßen und wenn wir einen mutigen Tag hatten, wagten wir uns durch das knarzende Tor, vorbei an den wildgewordenen Milchkühen, durch die stockdunkle Scheune, vorbei am angeketteten, fürchterlich gefährlichen Hof-Kläffer und sparten so mindestens fünf Minuten. Kürzlich stand ich wieder vor diesem Bauernhof. Der war irgendwie gar nicht so riesig. Die Kühe wiederkäuten friedlich ihr Heu und ein kleiner Hund wedelte hinter dem Zaun fröhlich mit dem Schwanz. Nun, so gibt es offensichtlich nicht nur die Morgens- und Mittagsversion eines Schulweges, sondern auch eine Kinder- und Erwachsenenausgabe. Die Letztere ist ohne Zauber, geheimer Wege und Verstecke. Umso lieber gebe ich deshalb den Schulweg-Staffel-Zauberstab an meinen Sohn weiter. Soll er ruhig ein wenig trödeln. Wenn er so die anstrengenden Schulstunden besser verdaut, gerne. Wenn er dabei auch noch sein Glück findet, umso besser. Katharina Troch (erschienen in Kinderkram, Ausgabe x/2015) |