Die Lässigkeit der Banden Ältesten
Zwischen wachsendem Verständnis und neuem Kennenlernen: Wenn die eigenen Eltern zu Großeltern werden, verschieben sich auch die Rollen in der Familie.
Sie sind wie raum-, zeit-, ja generationenübergreifende Echos. Es sind Fragen wie Muss das sein? Willst Du nicht noch ein Unterhemd drunter ziehen? Zähne schon geputzt? Wie lange bleibt Ihr? Wie kommt Ihr nach Hause? Und vor allem: Wann?
Wir hörten sie zu allererst von unseren eigenen Eltern. Das liegt nun Jahre bis Jahrzehnte zurück. Doch das Echo schallt weiter. Mittlerweile sind sie auch in unseren Mündern gelandet, all diese Fragen. Denn nun sind auch wir Eltern. Und können Hintergrund und Absicht dieser Fragen nicht nur besser verstehen, wir benutzen viele davon auch wie selbstverständlich selbst. Sie sind wie vokabularische Erbanlangen, sie sind einfach in uns drin. Und stets bereit zur Anwendung. Was waren wir deswegen genervt von unseren Eltern, und was sind wir heute selbst manchmal für Nervensägen. Denn wir können nicht anders. Viele Gefühle und darauf folgende Handlungen und Worte der Eltern, die man als Kind einfach nur schwer nachvollziehen kann, kann man nun aus Elternsicht deutlich klarer begreifen. Und so ist es, als trete man seinen Eltern mit dem ersten Schrei des ersten, eigenen Kindes hundert Gefühls-Kilometer näher entgegen. Hundert Kilometer mit nur einem Schritt. Man weiß, nein fühlt plötzlich, was es bedeutet, sich um sein Kind zu sorgen. Der alltägliche Versuch sämtliche Gefahren der Welt mit Hinweisen, Bitten, Befehlen, Verboten, Wünschen, Hoffnungen und warmen Socken aus dem Weg zu räumen. In uns drin arbeitet 24-Stunden am Tag eine Art Eltern-Echolot. Wir ahnen immer deutlicher die Größe der Verantwortung ein Kind zu erziehen. Und während wir nun tagtäglich die einst so ungeliebten Worte unserer Eltern selbst benutzen, lernen wir die beiden nebenbei auch noch mal ganz neu kennen. Gerade haben wir den Entscheidungen unserer Mamas und Papas gegenüber mehr Verständnis und Dankbarkeit entwickelt, diese aus ihrem jahrelangen trotzig-kindlichen Schlummerschlaf auferweckt, da beobachten wir eine erstaunliche Veränderung. Behutsam und hocherfreut streifen sich unsere Erzieher den vorbildlich streng gebügelten Elternanzug ab und werfen sich ein wohlig flauschiges Großeltern-Outfit über. |
Und dieses Outfit ist nicht nur besonders Enkel-kuschel-freudig, es hat auch ziemlich große Hosentaschen. Diese sind voller Bonbons, Bücher, Bagger und Berge voller Zeit und Geduld. So voll, dass für gewisse andere Dinge halt einfach nicht mehr viel Platz bleibt: lästige Benimm-Monologe, die Drei-Minuten-Zahnputzuhren, Fernsehverbote, Terminplaner ...
Und dann kommt der Moment, wo man neben seinen Eltern steht, und mit dem Kopf schüttelt. Zum einen, doch mal wieder, aus Unverständnis, denn wie kann es sein, dass die eigenen Eltern erziehungstechnisch plötzlich zu einer Art Spät-Hippies mutieren und das ausgerechnet an unseren Kindern ausleben? Zum anderen aus purem schnöden Neid, denn es fühlt sich aus der stillen Beobachter-Situation an, als seien die Großeltern viel gelöster, verspielter, entspannter, abenteuerlicher, schokoladenbepackter und verständnisvoller als man selbst zu seinen Kindern. Einfach: mehr da. Ist das Dasein als Großeltern also so etwas wie der allgemeine Dank für die Arbeit rund um die jahrelange, stets anstrengende und nun erfolgreich absolvierte Erziehung der eigenen Kinder? Quasi die Parade-Rolle in einer Familienbande? Den Ernst des Lebens hinter sich gebracht und nun endgültig und lebensewig frei für Spielerei? Klingt gar nicht mal so abwegig, deswegen ja vielleicht auch der Name „Großeltern“. Ja, unsere Eltern sind jetzt groß. Sie wissen wie der Hase läuft. Und raten uns deswegen auch gleich mal „Jetzt seid doch mal nicht so streng!“ Irgendwie wollen wir doch alle das Beste für unsere Kinder. Und dieses ständige, fürsorgliche Streben, das bewegte auch unsere Eltern. Ist doch also eigentlich alles ganz logisch. Und so sagen wir: „Danke, dass es Euch gibt. Danke dafür, was Ihr alles für uns gemacht habt. Und dass Ihr heute so wundervolle Großeltern seid.“ Da wir uns aber nun auch mehr auf Augenhöhe befinden, so von Eltern zu Eltern noch eine klitzekleine Frage zum letzten Enkelbesuch: So viel Naschkram kurz vorm Abendbrot – ja muss das denn sein? Katharina Troch (erschienen in Kinderkram, Ausgabe Dezember/2015) Foto (c) Katharina Troch |