Back to Rock’n’Roll: Mit Kind aufs Summer´s Tale Festival
Mama wills wissen: Bin ich noch festivaltauglich? Und: Wie ist das so mit einem Kleinkind zwischen großen Bühnen, lauten Bands und tausenden Beinen?
Sommer 2004 bis 2010, ich fuhr zu Festivals und nahm mit: Zelt, Schlafsack, diverse Getränke, TetraPaks, Klebeband, Toastbrot, Ravioli, Einwegkamera. Gesamtzahl aller Gepäckstücke: ein Rucksack. August 2015, ich fahre zum Festival und nehme mit: meinen Mann, unseren Sohn, unseren Bus, Obst, Müsli, Brot, Milch, dutzende Snacks, Regenkleidung, Sonnencreme LSF 50, vier Packungen Feuchttücher, 20 nein besser 30 Windeln, Manduca, Kuschelkissen, Lärmschutzkopfhörer, Reiseapotheke, Desinfektionsmittel, Gummistiefel, Sandalen, Halbschuhe, Bilderbücher, Bausteine, Spielautos,... Und als ich das habe, packe ich auch mal meine Sachen. Gesamtzahl aller Gepäckstücke: Da müsst Ihr den Papa fragen, der hat die enorme Übergepäcklawine vom Obergeschoss ins Auto verfrachtet, eine knappe halbe Stunde lang.
Ich befinde mich auf der Suche nach dem Rock’n’Roll – trotz dessen ich Mama bin. Oder: Jetzt erst recht! Dennoch: Wacken schließe ich mit Kleinkind aus, den Hurricane Acker ebenso. Da flattert mir die Nachricht von der Premiere des A Summers´ Tale in der Nähe von Lüneburg vor meine übermüdeten Augen – ein „familienfreundliches Festival“. Ich bin hellauf begeistert. Lasst uns hin da! Wochen später, ein früher Morgen im August: Wir erreichen den Festival-Campingplatz, bauen unser Lager auf und machen uns auf den langen, langen, nein, ewigen Weg zum Festival-Gelände. Ewig weil auf den 800 Metern zwischen Bus und Bühnen erst mal unzählige Kinder-Sensationen ihren großen Auftritt haben: Spinnen, Kühe, Vögel, Sand und Büsche! Das Festival-Gelände ist ein weitläufiges, gras-grün-buntes Areal inmitten der Lüneburger Heide. So aufgeräumt und sauber wie ich es noch niemals auf einem Festival gesehen habe. Zwischen und neben den üblichen Bühnen entdecken wir zahlreiche Kunstinstallationen, Foodtrucks, ein Kinderzelt, ein Festival-Atelier, eine Lesebühne, ein Ruhedeck, ein Geschichten-Café und sogar ein Fahrrad- und Kanuverleih. Als wir endlich mitten drin sind, hat der erste von uns im Programm markierte Punkt, Film & Besprechung von „Oh Boy“ samt Darsteller Tom Schilling, bereits begonnen. Wir zucken mit den Schultern: Denn halt nicht! Der Mini-Rocker streift lässig und wie ein barfüßiger Großgrundbesitzer über die Wiesen und lässt sich treiben, wir tappeln hinterher und treiben mit. Die vorsichtig anversierte Lesung von Boris Pofalla knicken wir uns ebenso – nach einer Minute quakt der Mini-Rocker dem Autor professionell ins Wort, der Text scheint kinderöde zu sein. Ok, war auch eine waghalsige Idee. Außerdem ging es hier ja nicht um Lesungen, sondern um Rock’n’Roll! Wir gehen zu Eaves, eines der ersten Konzerte des Tages, und setzen die bunten Lärmschützer auf die Mini-Ohren. Doch nicht mit dem Mini-O dem die Mini-Ohren gehören. Ohne Schützer jedoch kein Konzert. Dann also doch lieber erst mal zum Kinderzelt: Malen, Bücher angucken, Basteln, Ball spielen... ich schaue auf die Uhr, ob ich es nachher zu Niels Frevert schaffe...? Egal. Mini-Rocker ist gerade happy im Hier und Jetzt. Ich versuche das Jetzt auch einfach mal mit dem Hier, freue mich, dass er sich freut, knicke das Konzert und kicke den Ball zurück. Mittlerweile ist Nachmittag und der Hunger groß – größer als kleine Snacks. Wir sind beeindruckt von der riesigen Auswahl an hochwertigen und ausgefallenen Gerichten, die von bunten Foodtrucks aus verkauft werden. Wo sind eigentlich die labberigen Pommes? Und wo zum Kuckuck steckt Helga? Egal. Pizza, Tacos, Currywurst, Burritos, Roast Beef, Lachsdöner, Eis, frischer guter Kaffee – wir scheinen vor dem Festival einige Tage das Essen vergessen zu haben, blinzeln in die Sonne, mampfen uns durch die Leckerheiten und versuchen dabei die hohen Festival-Preise zu vergessen. |
Pappsatt, mit klebrigen Händen und staubigen Füßen wandern wir neugierig weiter übers Gelände und entdecken eine riesige Container-Bienen-Kunst-Installation, luschern in einen lustigen Handstand-Workshop rein und bemerken, dass tatsächlich viele Familien hier sind. Viele sogar mit mehreren Kindern. Die meisten sind bereits im Vorschulalter, oder es sind noch Babys, die selig angekuschelt und unbeeindruckt der Dinge an einer Elternbrust schlummern. Viele haben praktischerweise Buggys und Fahrradanhänger dabei und dort ihre Familien-Vorräte und Utensilien verstaut.
Am späten Nachmittag fiebern wir alle dem Kinder-Highlight dieses Tages entgegen: dem Auftritt von Deine Freunde. Dort hotten wir Eltern mit unseren Mickey Maus Kindern (sehr viele tragen diese bunten Lärmschutz-Kopfhörer – nun sogar auch Mini-Rocker)ab und schreien im Chor nach „Schokolade“. Als ich bei „Deine Mudda“ mitgröle, hoffe ich insgeheim, dass mir Mini-Rocker irgendwann auch mal so ein Lied widmen wird. Moment mal, vielleicht findet er Festivals jaauch mal richtig öde und ich mache mir gerade umsonst die Mühen der frühkindlichen Festival-Akklimatisierung...? Es ist Zeit für „Die höchste Eisenbahn“, die Berliner Band spielt auf der Hauptbühne. Und tatsächlich, Mini-Rocker zieht mit: mit Kopfhörern auf den Öhrchen schlummert er in der Babytrage ein. In der warmen Spätnachmittagssonne lauschen wir den Liedern und stoßen mit einem echten, richtigen kalten Bier an. Wir sind endlich da, auf dem Summer´s Tale Festival 2015. Da wacht mini-Rocker auf. Power-Nap! Mittlerweile ist 18 Uhr. The Mighty Oaks spielen die ersten Takte, als Mini-Rocker beschließt, auch seinem Rhythmus nachzugehen – seinem Schlaf-Rhythmus. Ja, genau dieser da, der zu Hause niemals pünktlich tickt. Heute schon. Mini-Rocker ist voll müde und nölig. Doch kein Power-Naper. Wir bieten Kekse, doch O will Schlaf. Ok. Wir machen uns auf den Weg zum Bus. Auf den langen, langen Weg (siehe oben). Angekommen am Bus, ist Mini-Rocker super gut gelaunt und voll wach. Will himmelhohe Duplo Türme bauen, nackig über den Platz rennen, Dadüdada spielen, ... Immerhin: Die Musik hallt bis zum Campingplatz, die Mighty Oaks sehe ich damit quasi durch meine Ohren. ...es ist 22 Uhr. Mini Rocker schläft. Seit eben. Auch Patti Smith haben wir so nur aus der Ferne gefeiert. Wir beschließen, dass dieses Festival wunderschön ist, wir aber mit dem nächsten Besuch warten, bis Mini-Rocker ein Medium-Rocker ist, also so vier oder fünf Jahre alt. Da haben alle mehr davon. Nun sitzen die Rocker-Eltern müde und kapuddi auf den Campingstühlen, und überlegen, was man jetzt eigentlich rocknrollmäßiges macht. Erst mal ein paar Hanuta essen. Wir können jetzt doch nicht schon schlafen gehen! Da einer aber eh bleiben muss, erklärt sich Papa bereit und ich ziehe nochmal los. Vor der Zeltbühne gelandet, genieße ich den Auftritt von Get Well Soon, hole mir was zu Trinken, schau in den Himmel, setz mich auf die Wiese, beobachte Leute, schlendere zum Konzert von Zaz aber fühle mich null Rock’n’Roll. Eher wie ein müder Zaungast. Mir fällt ein, dass ich den Käse fürs Frühstück zu Hause vergessen habe. Mache einen Abstecher beim Bio-Bauernstand (ja, gibt es hier tatsächlich auch) und kaufe 150 Gramm jungen Lüneburger Landkäse. Ich stopfe mir das Stück in die Hosentasche, denn ich habe sämtliche Rucksäcke im Bus gelassen, und streunere zur Waldbühne. Dort glitzert eine riesige Discokugel inmitten der Birkenwipfel, ein Hamburger DJ Duo legt auf und spielt die Indie-Kracher meiner, Achtung, JUGEND! Ich wippe mit dem Fuß, ich nicke mit dem Kopf, ich fange an zu Tanzen, noch ein Lied und noch eins und noch eins. Ich blicke in den Sternenhimmel, denke lächelnd an meine schnarchenden Jungs, ertaste den Käse in meiner Tasche, schüttele den Kopf über mich selber, tanze weiter. Und plötzlich weiß ich, was mir so lange gefehlt hat: Nein, es sind keine vier Tage Festival-Rock’n’Roll, zumindest nicht mit Kleinkind. Nein, es hat mir gefehlt, einfach mal wieder zu Tanzen, die Zeit zu vergessen und ganz ganz laut Musik zu hören. DAS war für mich der schönste aller Festival Momente. Ja, meine persönliche Summers´ Tale ist eine Gute-Sommer-Nacht-Geschichte mit dem Titel „Manchmal müssen Mamas tanzen!“. (Bis 00.15 Uhr! habe ich die Nacht zum Tag gemacht. Und vielleicht ist ja genau das der echte Rock’n’Roll. Wer sonst wagt es, auf einem Festival so früh ins Bett zu gehen!) Katharina Troch (erschienen in Kinderkram, Ausgabe September/2015) Fotos (c) Katharina Troch |

Mit Kind und Kegel auf ein Festival – praktische Punkte
Bitte mitnehmen:
Die gewohnten Tonnen an üblichem Gedöns. Plus: drei Päckchen Feuchttücher mehr als sonst. Jemand der Lust hat, auf dem Campingkocher viel und regelmäßig Nahrung zuzubereiten – oder viele Snacks plus ordentlich Essensgeld. Buggy oder Fahrradanhänger. Lärmschützer. Gelassenheit.
Bitte daheim lassen:
Den Zeit-Plan.
A Summer´s Tale: Knapp 140 Kilometer von Kiel entfernt, trifft man bei A Summer´s Tale auf ein unglaublich idyllisch gelegenes, weitläufiges Festival mit einem außergewöhnlich vielfältigen Programm voller Lesungen, Workshops, Vorträge, Kunst und Konzerte. Es gibt auch Tagestickets. Ab sechs Jahren müssen Kinder jedoch bezahlen und Campen kostet extra. Heißt: Will man dort mit der Familie die kompletten vier Tage und Nächte verbringen, könnte das Jahres-Urlaubs-Budget gesprengt werden. Das nächste A Summer´s Tale Festival steigt vom 3. bis 6. August 2016. Mehr Infos und Eindrücke auf www.asummerstale.de
Bitte mitnehmen:
Die gewohnten Tonnen an üblichem Gedöns. Plus: drei Päckchen Feuchttücher mehr als sonst. Jemand der Lust hat, auf dem Campingkocher viel und regelmäßig Nahrung zuzubereiten – oder viele Snacks plus ordentlich Essensgeld. Buggy oder Fahrradanhänger. Lärmschützer. Gelassenheit.
Bitte daheim lassen:
Den Zeit-Plan.
A Summer´s Tale: Knapp 140 Kilometer von Kiel entfernt, trifft man bei A Summer´s Tale auf ein unglaublich idyllisch gelegenes, weitläufiges Festival mit einem außergewöhnlich vielfältigen Programm voller Lesungen, Workshops, Vorträge, Kunst und Konzerte. Es gibt auch Tagestickets. Ab sechs Jahren müssen Kinder jedoch bezahlen und Campen kostet extra. Heißt: Will man dort mit der Familie die kompletten vier Tage und Nächte verbringen, könnte das Jahres-Urlaubs-Budget gesprengt werden. Das nächste A Summer´s Tale Festival steigt vom 3. bis 6. August 2016. Mehr Infos und Eindrücke auf www.asummerstale.de